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Das Mundart sprechende Christkindchen

Kindliche Neugier ist schon seit jeher eine Eigenschaft, die nicht immer begrüßenswert ist. Zumal dann nicht, wenn es sich um geheimnisvolle Dinge handelt.

Dazu gehört unter anderem auch die Vorbereitung auf die Vorweihnachtszeit. Dann werden die Kinderherzen in Hochstimmung gebracht. Weihnachtslieder werden geprobt, daheim durchzieht der herrliche Duft von frischem Weihnachtsgebäck das Haus. Draußen stehen die ersten Lichterbäume in den Parks und an den Geschäftsstraßen und in den Schaufenstern der Ladenstraßen sind all die vielen Dinge zu bestaunen, die die Kinderaugen glänzend werden lassen und Wünsche wecken. Nun beginnt der Wetteifer mit dem Wunschzettelschreiben, wobei die Überfülle des Dargebotenen die Sinne verwirrt und manches Kind nicht mehr in der Lage ist, sich bescheiden auf etwas Bestimmtes festzulegen. Seltsamerweise sind in dieser Zeit die wildesten Rangen so zahm wie sonst im ganzen Jahr nicht.

So war das auch einmal bei dem siebenjährigen Emil und seiner um ein Jahr jüngeren Schwester. Sie gingen beide zur Schule und waren nicht gerade von der bravesten Sorte. Aber in den Tagen vor Weihnachten kannten ihre Eltern die Kinder nicht mehr wieder, so folgsam waren sie mit einmal. Als nun der Heiligabend nahte, war die Tür zum Wohnzimmer immer fest verschlossen. So etwas weckt natürlich die Neugier und Emil hatte schon mehrmals versucht, im unbewachten Augenblick einen Blick durchs Schlüsselloch zu tun. Aber meist war es dunkel im Wohnzimmer oder aber der Schlüssel steckte von innen im Schloss.

Zu der Zeit war es noch üblich in Radevormwald, dass die Kinder erst am ersten Weihnachtsmorgen beschert wurden. Infolgedessen fieberten die Kinder am Heiligabend dem kommenden Morgen entgegen. Der kleine Emil hatte am Spätnachmittag noch einmal die Wohnzimmertür inspiziert und außer einigem Hin- und Herrücken auch Stimmen vernommen. Verständlich, dass er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Für Emil und sein Schwesterchen wurde es eine kaum endend wollende Nacht und es war wie eine Befreiung aus einem finsteren Käfig, als die Mutter sie am anderen Morgen wecken wollte, beide bereits aber putzmunter in ihren Betten vorfand.

Nun stand die Wohnzimmertür weit offen und die Kerzen am Weihnachtsbaum strahlten in voller Pracht. Emil und das Schwesterchen standen Hand in Hand und sangen, so wie es in dieser Familie üblich war, gemeinsam mit den Eltern das Lied "O Tannenbaum". Danach wurden dann mit lautem Jauchzer die Gaben unter dem Lichterbaum bestaunt. Emil's Freude war so überwältigend, dass er plötzlich laut betete: "Chriskinken eck bedanke meck herzlich för all die guodden Saken."

Da in dieser Familie noch plattdeutsch gesprochen wurde, war das zwar nichts Außergewöhnliches, nur fragte der Vater: "Worum biäts du dann op Rüötsch Platt?" Darauf erwiderte Emil allen Ernstes: "Eck häwe güstern Nommidag an dr guodden Stuwendür gelustert, do horde eck, dat dat Chriskinken ohk Plattdütsch kallt." Vater und Mutter sahen sich verstohlen an und mussten an sich halten um nicht lauthals loszulachen, denn sie wussten ja Bescheid um das mundartsprechende Christkindchen.

Wenn man einmal genau betrachtet, war Emil's plattdeutscher Dank eine logische Schlussfolgerung. Denn ein Christkind, das für alle Menschen zur Erde hernieder kommt, muss sich auch mit allen Sprachen auskennen.

< Karl Höltken, entnommen mit freundlicher Genehmigung des Heimat- und Verkehrsvereins: "Dat rüötsche Chrisdagsbauk" >

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